Sumatra
von Kerstin Frickmann
Ein Riesenstruller Wasser schießt an meiner Balkonbrüstung vorbei. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Grossreinemachen in der vierten Etage. Seuchengefahr gebannt?
Ich liege auf der Luftmatratze. Quäle mir den Schweiß aus den Poren. Sonne, Sonne, Sonne, obwohl es doch Oktober ist. Das Radio von nebenan nervt seit Stunden. Zum Nikolaus werde ich meiner Nachbarin neue Knopfzellen für ihr Hörgerät in den Schuhen verstecken.
Ich stehe auf, richte die drei Spiegel um mich herum neu aus. Eine optimale Bestrahlung ist wichtig. Knusprig möchte ich sein. Schade, niemand begießt mich, das tut man doch mit Gänsen und Enten auch! Wäre Vivenne hier, wir würden uns ölen, aalen, kichern, kochen. Aber sie schaukelt ja jetzt auf einem Surfbrett vor Sumatra.
Glockengeschepper aus der Unterstadt. Gott, der Allmächtige, der Lenker ruft. Der Witwer aus dem Erdgeschoss lässt die Haustür krachen, pilgert los. Vielleicht betet er auch für uns, die Studenten-WG aus dem Dritten: Dein Reich komme, dein Wille geschehe.
Mein Handy bebt auf meinem Bauch. Wenn man vom Teufel spricht: Vivienne. Eine SMS: Herrlich hier. Wonne Wonne Wonne. Wasser Wasser Wasser. Wellen Wellen Wellen. Wumatra.
Am 31. landet sie. Bringt mir ein Wellenstückchen im Reagenzglas mit. Ich bin Meereswassersammlerin.
Meine Nachbarin reguliert die Lautstärke des Radios: Die News. Sumatra. Vor wenigen Stunden hat ein Erdbeben der Stärke … Die dadurch ausgelöste Tsunamiwelle riss Gebäude, Tiere, Menschen bis zu 600 Meter weit ins Landesinnere mit sich.
Ich richte mich auf, stehe an der Brüstung, splitterfasernackt. Das Fernglas des Spanners von gegenüber lässt Lichtlein auf mir tanzen. Ich lese noch einmal die SMS: Herrlich hier. Wonne Wonne Wonne. Wasser, Wasser, Wasser. Wellen, Wellen, Wellen. Wumatra.